Wie sich die Stadt vor einigen Jahren angehört hat, kann man heute nicht mehr nachvollziehen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, warum es wichtig ist, Geräusche als immaterielles Kulturerbe zu sammeln und aufzubewahren.
Ein besonderes Objekt in der heimathistorischen Ausstellung des Delmenhorster Stadtmuseums ist die Rekonstruktion eines Delmenhorster Kiosk aus den 1950er Jahren.
Meist in der Nähe von Fabriken errichtet, waren sie ein beliebter Anlaufpunkt für Arbeiter, um sich dort nach Schichtende auf ein Feierabendbier zu treffen. Diese Kioske existieren heute nicht mehr. Im Stadtmuseum lässt lediglich die weiße Figur eines Mannes mit Motorroller erahnen, welche Szenen und Gespräche sich an den Kioskfenstern abgespielt haben könnten. Die Stimmen der Menschen und das laute Rattern der in den 1950er Jahren beliebten Motoroller, sind heute verstummt. Wie die Stadt einst geklungen haben mag, kann jede/r einzelne BesucherIn des Stadtmuseums nur vermuten, denn Tonaufnahmen längst vergangener Zeiten existieren nur in den seltensten Fällen.
Die Geräuschkulisse der Stadt verändert sich
Wie sich Delmenhorst vor 100 Jahren angehört haben mag, als die Klanglandschaft des ehemaligen Industriestandortes noch vom Lärm der ratternden Produktionsmaschinen geprägt war, können wir heute nicht mehr nachstellen. Die moderne Klanglandschaft der Stadt ist vielmehr geprägt von einem bunten Sprachwirrwarr vieler StadtbewohnerInnen unterschiedlicher Herkunft, den im Minutentakt einfahrenden Zügen in den Hauptbahnhof und der Einflugschneise des Bremer Flughafens direkt über der Innenstadt.
Immaterielles Kulturerbe sammeln
Auch die uns umgebende Klangkulisse ist Teil des immateriellen Kulturerbes und gewinnt zunehmend an Bedeutung für museale Sammlungen. Bisher verbergen sich hinter den meisten Türen der Museumsarchive Objekte, Kunstwerke und Archivalien: das materielle Kulturerbe. Immaterielles Kulturerbe umfasst hingegen alles, was man nicht mit den Händen berühren kann. Es ist durch das menschliche Wissen und Handeln geprägt und wird von Generation zu Generation weitergetragen.
Die uns alle umgebende, urbane Geräuschkulisse ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil des immateriellen Kulturerbes, den Museen für die Zukunft bewahren wollen. Durch „Mitschnitt Delmenhorst – Tonspuren einer Stadt“ soll der bunten Geräuschkulisse der Delmenhorster Stadtgesellschaft in Zukunft ein Platz mitten in der Sammlung und Ausstellung des Stadtmuseums gesichert werden. Die im Laufe der 12 Monate aufgenommenen Tondokumente der Stadt können als Zeitkapseln verstanden werden, die in Zukunft den Menschen einen ganz besonderen Eindruck vom Delmenhorster Leben in den Jahren 2019 und 2020 vermitteln werden.
Text: Maike Tönjes